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Dankesrede

anlässlich der Verleihung der Bach-Medaille der Stadt Leipzig

 

Sehr geehrter Herr Oberbürgermeister, sehr geehrter Herr Prof. Wolff, sehr geehrte Damen und Herren,

für die Ehre, die Sie mir durch die Verleihung der Bach-Medaille haben zuteil werden lassen, bedanke ich mich herzlich. Es freut mich, dass Sie mit der Vergabe der Medaille an mich den Blick an JSB vorbei auf seine Söhne und Anverwandten gelenkt haben. Herzlichen Dank sage ich ein zweites Mal, nun im Namen der Bach-Familie.

Die faszinierende Kreativität JS Bachs und seiner Großfamilie hat schon bald nach Beginn meiner beruflichen Tätigkeit mein Interesse an der Frage geweckt, was sich aus ihrer Musik für die Deutung ihres Wesens heraushören und –lesen lässt. Nun sind wir  hier aber nicht auf einem Symposion und so ist es weder Ort noch Stunde, darüber zu sprechen. Angesichts der Größe des Namensgebers der verliehenen Medaille, vor dem ich mich eher stumm verneigen möchte, schweige ich dazu erleichtert.

Meine Beschäftigung mit Bach und seinem weiten Umfeld ist mit ganz andersartigen, gleichwohl markanten Augenblicken verbunden.

Die RK, DKK und ich fuhren am 8. November 1989 mit einem Bus in Richtung Leipzig, um mit drei Konzerten (darunter einem Bach-Söhne-Programm) an der Kultur-Präsentation des Landes NRW teilzunehmen. Bald teilte mir ein kanadischer Sänger mit, dass er sein Visum für die DDR nicht dabei habe, was bei meiner teils bitteren Kenntnis der DDR-Grenzabfertigungen hieß, auf der Stelle einen Rückfahrschein zu kaufen und nach Hause zu fahren. Die Nachrichten, die wir während der Fahrt über die Geschehnisse an den DDR-Grenzübergängen hörten, ließen das Visum-Problem vergessen. Sie alle kennen vermutlich das Bild, das sich uns bei der Ankunft in Herleshausen an diesem Tage bot. Lachende, glückliche Menschen, viele von ihnen Bananen schwenkend, begrüßten all jene, die die Grenze zum Westen passierten. Bei früheren Fahrten in die DDR hatte der Blick auf die Autobahn in Richtung Osten nur gelegentlich ein Auto gefunden. Nun reihte sich auf der späteren Weiterfahrt bis Leipzig ein Auto an das andere. Im Bus lebhafte Gespräche, immer mit Blick auf die dichte Autolichterkette von Eisenach bis Leipzig.
Bei der  Grenzabfertigung war sofort deutlich, dass wir hier die andere Seite einer Medaille erlebten, von deren Existenz die Grenzbeamten früher nicht viel verrieten. Liebenswürdigkeit, Freundlichkeit, Entgegenkommen, also all diese schönen Verhaltensweisen, die schon an einer Grenze die Vorfreude auf den Aufenthalt in einem unbekannten Land einladend machen, sprachen für eine Wende. Der Beamte, der unsere Einreise abzuwickeln hatte, kam lächelnd zu uns. Nach Erläuterung des Visum-Problems signalisierte seine ganze Person sofort: das ist kein Problem. Nach kurzem hatte Kanada eine Einreiseerlaubnis, und wir konnten quasi ohne Grenzkontrolle nach Leipzig fahren, wo wir gegen Ende einer hochoffiziellen Empfangsveranstaltung ankamen.

Wir wohnten damals im Hotel Astoria, das einen anachronistischen Eindruck vermittelte. Gleichsam von den Wänden bröckelte der Glanz einer bürgerlichen Epoche ab, die hier schon lange vergangen war. Als ich kurz vor Aufbruch zu unserem Montagskonzert durch sonderbare Geräusche neugierig aus meinem Zimmer blickte, empfand ich einen Realitätsbruch. Hier hatte jemand einen gerissenen Film versehentlich mit einem anderen fortgesetzt.
Wie ein bedrohlicher Strom flossen Menschenmassen über die in dunkelgelbes Laternenlicht und rußigen Nebel gehüllte Straße. Unheimliche Spannung und Aggressivität waren bis in mein Zimmer zu spüren. Das also waren sie, die starken, bewunderten, unwiderstehlichen Menschen, die zur Demonstration vor das Stasigebäude nahe der Thomaskirche strömten. Tief beeindruckt hat mich in diesem kurzen Augenblick der unbändige politische Wille, der von dieser Szenerie ausging und fest in der Erinnerung verankert ist.
Als wir uns in der Thomaskirche für das Konzert versammelten, und das Orchester zum Stimmen in die Kirche ging, hörten wir die Rufe der Demonstranten herüberschallen. Das Konzert haben wir mit seltener Hingabe vorgetragen, gespeist von den menschlich-bewegenden Hintergründen dieses Abends, dieser Tage. Mehr als unsere 60 Zuhörer hatten wir in dieser Situation nicht erwartet. Innerlich waren auch wir vor dem Stasibau.
Alles ging damals schnell. So wurde eines unserer Konzerte flugs vom Gewandhaus in die Thomaskirche verlegt, weil dort im Vestibül eine Diskussion mit Kurt Masur stattfand. Die schwach besetzte Thomaskirche musste nun eine weltliche Kantate Bachs tolerieren, was (weil grundsätzlich nicht erlaubt) ein Novum war.

Letztlich hat das alles mit Bach und seinen Söhnen nur am Rande zu tun. Dennoch:
Wenn ich heute nicht ein Konzert dirigieren müsste, würde ich Ihnen Stunde um Stunde wunderbare Episoden erzählen, die ich bei meinen Besuchen in kirchlichen wie staatlichen Archiven der DDR vor 1989 erlebt habe. Bedenklich war oft der sorglose Umgang mit historischen Quellen (einmal lag auf meiner schwarzen Kleidung weißer Schimmelstaub, nachdem ich Notenstapel aus einem in dunkler Ecke stehenden Schrank ans Licht getragen hatte). Einnehmend war fast immer die menschliche Wärme bei jenen, mit denen ich durch die Quellen zu tun hatte.

Ich nannte, was ich gerade berichtete, markante Augenblicke.

Der schönste Augenblick meiner beruflichen Tätigkeit dauerte 24 Jahre. Es war im WDR die Zusammenarbeit mit Frau Dr. Barbara Schwendowius, der ich außerordentlich dankbar für eine Vielzahl von Aufnahmen bin (der kleinere Teil erschien auf CD), die sie als Redakteurin der Abteilung Alte Musik des WDR mit meinen Ensembles und mir durchführte. Die erste Choraufnahme enthielt JChrFr Bachs Motette Ich lieg und schlafe, die erste Aufnahme mit Orchester vier Kantaten Johann Ludwig Bachs. Ich darf sagen, dass diese Zusammenarbeit meine Laufbahn am stärksten geprägt hat. Vielen freundschaftlich geführten Gesprächen erwuchsen Anregungen, die mir meine Neugierde bewusst machten, denn bei diesen Treffen nahmen schon jene Spuren Form an, denen ich bald mit Elan in Bibliotheken folgen würde. Das Musikmachen selbst war immer schön, aber ebenso das begeisterte Herumstöbern in Archiven nach einer in einem WDR-Büro entstandenen Idee.

Im Zentrum unserer Arbeit stand von Anfang an zu zeigen, dass JS Bach nicht der Titan war, an dem gemessen die gesamte Musik vor ihm und zunächst nach seinem Tode minderen Ranges war. Nein -  dies wollten wir zeigen: Bachs Komponistenvorgänger, Zeitgenossen, Nachfolger und  Söhne waren nicht nur gute kompositorische Handwerker, sondern Könner, die die Musik zu einem Medium machten, mit dem sie uns  - durch schicksalhafte Verstrickungen entstandene - menschliche Katastrophen, tiefes Leid und glückhafte Wunder lehrhaft bewegend in Ohren und Bewusstsein trugen. Bedeutende Persönlichkeiten waren das, die nicht schmucke Gebrauchsmusik hinterlassen hatten, sondern die schöpferische Kraft besaßen, durch Musik menschliches Leben und Fühlen nach außen zu projizieren und  uns halfen, verstehend zu erkennen, wie sehr Menschen leiden müssen oder Glück erfahren dürfen.
Mit ihrem gesamten Hörfunk-Produktionsvolumen hat Frau Schwendowius im WDR Rundfunkgeschichte geschrieben und sich als eine verdienstvolle wie außerordentlich kenntnisreiche Anwältin für die Historische Aufführungspraxis und ein zu Unrecht vergessenes Repertoire erwiesen.

Frau Schwendowius hat auch meine Verbindung zum Bach-Archiv hergestellt. Sie kannte  Dr. Andreas Glöckner und verwies mich Anfang der 80er Jahre mit meinen Fragen an ihn. Mit seiner Hilfe habe ich mein Wissen über musikalische Quellen erweitern können und viele dankenswerte Fingerzeige zu den Komponisten des Bach-Umfeldes erhalten. Gespräche, die ich bei meinen etwa 2x jährlich stattfindenden Besuchen in Leipzig und im Bach-Archiv mit ihm und Dr. Hans-Joachim Schulze führte, waren sprudelnde Informationsquellen, durch die mir viele historische Zusammenhänge und Quellensituationen um JS Bach deutlich wurden. Zum heiteren roten Faden meiner Besuche trugen zweifellos die zahllosen Anekdoten bei, die beide Herren mit erzählerischem Geschick in ihre Erläuterungen einflochten. Auf (im wahrsten Sinne des Wortes) komische Art lernte ich dabei so Manches über das Leben im 18. Jahrhundert und in der DDR. 
In den späteren Jahren nach der Wende haben mir Prof. Dr. Christoph Wolff, Dr. Peter Wollny, Dr. Uwe Wolf und Dr. Ulrich Leisinger mit ihrem Wissen höchst dankenswerte Hilfe geleistet. Ich hoffe, Sie können akzeptieren, wenn ich meine, zu Ihnen allen eine freundschaftliche Verbindung zu halten.

Mit meinen Ausführungen wollte ich sagen: Einen Preis wie die Bach-Medaille bekommt man nicht alleine. Last not least bedanke ich mich bei Martin Kahl (er führt perfekt und unermüdlich die Ensemble-Geschäfte), bei der RK und dem KK, die mit großem Engagement halfen, frisch ans Licht gezogene Musik zu verstehen und einem Publikum wohlschmeckend vorzutragen. Schwer fiel das nicht, denn die auf den Pulten stehenden Werke waren Offenbarungen. Heute ist viel Musik um JS Bach bekannt. Damals jedoch paarte sicht oft Überraschung mit Entzücken, wenn wir zum ersten Male Stölzel, Fasch, Kuhnau, Kaiser, Kirnberger, Homilius, Zelenka, Graupner, Hiller, Benda, Scheibe, Doles, Zachow spielten und Musik von WFriedemann, CPE, JChristian, JChrFr, JMichael, JChristoph, JErnst, JBernhard, vom Wuppertaler JMichael, von WFrErnst und JLudw. Bach probten.
Eigentlich hätten alle bisher Genannten hier vorn die Medaille verdient. Doch das Bild wäre unvollständig, weil die Komponisten natürlicherweise fehlen. So bleibe ich hier in Stellvertreterrolle.

Einen Ausblick auf zukünftige Auseinandersetzungen mit der Bach-Familie versage ich mir, verhehle aber nicht, dass mich mitunter besorgt die Frage  beschleicht, wie wohl die heute prägenden Generationen mit dem Sujet Bach und seinem Weiterleben umgehen werden.
Unsere Welt wird mit zunehmender Gewalt und Kälte immer ungemütlicher. Die Menschlichkeit als Voraussetzung für ein erträgliches Leben in einer problembelasteten Welt ist gefährdet. Mitmenschlichkeit braucht Nahrung, wird ohne sie krank und kann versiegen. Eine Musiksparte, um die es hier heute geht, ist in hohem Maße als Nahrung für ein Verhalten geeignet, das ein freundliches Miteinander anstrebt. Aber Musik ist wie eine Sprache. Man muss sie durch steten Umgang  erlernen, sonst bleibt alles leeres Getön. Junge Menschen tun sich mit dem Erlernen dieser Sprache oft schwer. Glücklicherweise gibt es inzwischen viele tatkräftige Projekte, die diesen Lernprozess unterstützen wollen. Es gibt sie in Leipzig, es gibt Kinder zum Olymp, es gibt ein Großprojekt für Singen und Instrumentenspiel in NRW - um nur einige zu nennen. Von allen bestehenden Projekten sollten wir nicht glauben, sie würden ausreichen. Weitere müssen mit Hilfe der Politik etabliert werden. Und vor allem: sie dürfen keine vorübergehende Erscheinung sein.

Gehaltvolles reizt im Supermarkt nicht so zum Zugreifen wie Süßes und Fettreiches. Gehaltvolles und Gesundes schmeckt oft nicht vordergründig gut, muss lange heftig gekaut werden, macht mühevolle Umstände und verlangt aufmerksames Hinschmecken.
Ich zögere nicht, dieses Trivialbild als Gleichnis zu benutzen, wenn es um Menschlichkeit, um Kultur im Allgemeinen und Bach und seine kostbare Welt im Besonderen geht.

Das Ende meiner Ausführungen steht unmittelbar bevor. Da ich zuletzt immer häufiger Worte aus der Sphäre unserer Geschmacksnerven verwendet habe, erlaube ich mir, mit einem Zitat von Francois Couperin zu schließen, das sich am Schluss seiner Messe pour les couvents befindet, wo es nicht heißt Soli Deo Gloria, sondern La Messe est dite, allons dîner – Die Messe ist gelesen, gehn wir essen.

Herzlichen Dank!

 

 
         
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